Notizzettel und Stift anstatt modernes Kassensystem
Der Sturm Sabine wehte heftig. In Gurtnellen kam es zu einem Waldbrand, ausgelöst durch eine beschädigte Höchstspannungsleitung. Dadurch war der Kanton Uri für 1½ Stunden stromlos.
Dieser Artikel ist am 12. Februar 2020 im «Urner Wochenblatt» erschienen.
Kein Licht, die Schiebetüren offen, und auf der Ablage für die Einkaufstaschen stehen zurechtgeschnittene Notizzettel und Stifte bereit. In den Kühlregalen erkennt man Taschenlampen und beim Käsestand Kerzen, die den Raum minimal erleuchten. Die Waagen sind ausser Betrieb, Gemüse verkauft man in diesen 1½ Stunden nicht. Ein aussergewöhnlicher und vor allem nicht alltäglicher Anblick im Zentrumsmarkt in Altdorf. Zu verdanken war das dem Sturmtief Sabine, das am Montag und Dienstag, 10. und 11. Februar, durch den Kanton Uri wehte, mit einer Höchstgeschwindigkeit von 202 km/h, laut Messungen der Station Gütsch ob Andermatt. Es kam zu Beschädigungen von Höchstspannungsleitungen in Gurtnellen und Sisikon. Ein zu Boden fallender Leiter verursachte an der Höchstspannungsleitung zwischen Göschenen und Plattischachen einen Kurzschluss, welcher anschliessend einen Waldbrand auslöste. Deswegen war der Kanton Uri in grossen Teilen ab zirka 11.55 Uhr vom Stromnetz abgeschnitten



Notizzettel und Stift ersetzen Kasse
So auch der Zentrumsmarkt in Altdorf, wo David Arnold schnell umdenken und handeln musste. «Wir haben die Kunden beim Eingang informiert, die Preise der Artikel auf einen Notizzettel zu schreiben», sagt David Arnold. «Alles Abgepackte oder Ware mit einem Preis drauf konnte man kaufen, den Rest nicht.» Die Kunden gingen also mit ihren Notizzetteln an die Kasse und der Rechnungsbetrag wurde mittels Taschenrechner ausgerechnet. «Den Schlüssel für die Kasse hatten die Mitarbeitenden, so konnten sie Rückgeld wechseln.» Und was, wenn der Ausfall länger gedauert hätte? David Arnold hat bereits mehrere Stromausfälle in Uri erlebt. «Im Notfall hätten wir den Kühltransporter zu uns bestellt und die Ware vorübergehend dort eingelagert. Denn nach 6 Stunden ohne Kühlung kann man die Lebensmittel nicht mehr verkaufen.» Dazu kam es aber an diesem Montag nicht. Nach zirka 1½ Stunden funktionierte der Strom wieder.



In Gurtnellen erhielten die rund 50 Feuerwehrleute aus Gurtnellen, Wassen und Silenen Unterstützung durch einen Löschhelikopter. Sie bekamen das Feuer dadurch rasch unter Kontrolle; um zirka 16.30 Uhr war es vollständig gelöscht. Zwei Personen der Feuerwehr Gurtnellen hielten allerdings während der Nacht noch Brandwache.
Gesperrte Tunnel und stehengebliebene Gondelbahnen
Auch hatte der Stromausfall Auswirkungen auf das Strassennetz. Aus Sicherheitsgründen mussten der Seelisberg-, der Flüeler-, der Mosi- sowie der Gotthardtunnel gesperrt werden. Nach dem Zwischenfall konnten die Tunnelwerke wieder geöffnet werden, wie die Kantonspolizei Uri mitteilte.
Ebenfalls betroffen war das Telefonnetz, wobei die Nottelefonie über 112, 117 und 118 immer erreichbar war. Zirka ab 14.45 Uhr funktionierte das Telefonnetz wieder zu grossen Teilen.
Die Luftseilbahn Haldi in Schattdorf blieb auch nicht verschont von «Sabines» starken Windböen. Als der Strom kurz vor Mittag ausfiel, fuhren 15 Schülerinnen und Schüler mit der Luftseilbahn bergwärts, eine Person talwärts. Plötzlich stand das «Haldibähnli» still; die Kabinen waren wie immer unbegleitet. «Eine Durchsage informierte in den Kabinen wie auch in der Berg- und Talstation, dass das Netz ausgefallen ist und die Kabinen mit Notantrieb in die Stationen geführt werden», sagt Christian Gisler, Betriebsleiter der Luftseilbahn Haldi, auf Anfrage. Dies sei der erste Stromausfall, denn sie während eines fahrplanmässigen Betriebs gehabt hätten. «Den Bahnbetrieb auf Notantrieb zu schalten, klappte sehr gut.» Es wurden keine Personen verletzt oder Sachen beschädigt. Der Bahnbetrieb wurde nach dieser Fahrt direkt eingestellt. Um 13.45 Uhr, als die Stromversorgung wiederhergestellt war, konnte der Betrieb wieder fahrplanmässig aufgenommen werden.
Höchstgeschwindigkeit von 202 km/h
«Sabine» besuchte auch die Skiarena Andermatt-Sedrun. Deren Pisten waren zwar am Montag, 10. Februar, mit Ausnahme der ersten Sektion am Gemsstock nicht in Betrieb. Bereits im Vornherein war bekannt gegeben worden, dass die Bahnen im Skigebiet aufgrund des Sturms geschlossen bleiben. Die gemessenen Windböen auf dem Gütsch ob Andermatt zeigten am Montagmorgen Geschwindigkeiten von 166 km/h.
Nachdem der Strom auch in Andermatt ausgefallen war, blieb die Gemsstockbahn stehen. Mit Notantrieb – wie beim «Haldibähnli» – wurden auch hier die Kabinen zurückgefahren und der Ski- und Bahnbetrieb umgehend eingestellt. «Andermatt war bis zirka 15.00 Uhr völlig abgeschnitten», sagt Stefan Kern, Leiter Kommunikation bei Andermatt Swiss Alps. «Wir hatten kein Internet und keinen Telefonempfang.» Auch in Andermatt waren Einkaufsläden dunkel und teilweise geschlossen. In den Restaurants gab es kein warmes Essen mehr, nur noch kalte Speisen und kalte Getränke.
In der Nacht auf Dienstag zog «Sabine» erneut durch den Kanton Uri. Auf dem Gütsch wurden 202 km/h gemessen. Am Dienstag blieb das Skigebiet ebenfalls geschlossen. Einzelne Schäden entstanden vor allem durch umgekippte Abschrankungsgitter, sagt Stefan Kern. Ausserdem sei die Plastikverkleidung der beiden sich im Bau befindenden Wohngebäude am Bahnhof massiv vom Sturm zerfetzt worden.
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Mehrere Ausfälle bei der Matterhorn-Gotthard-Bahn
Auch die Matterhorn-Gotthard-Bahn meldete diverse Störungen. In der Nacht von Sonntag auf Montag war die Strecke zwischen Andermatt und Göschenen wegen einer Fahrleitungsstörung gesperrt. Am Montagmorgen war die Störung wieder behoben. Am Montag und Dienstag war die Strecke zwischen Andermatt und Tschamut-Selva wegen des starken Windes, unterbrochen. Auch die Strecke zwischen Andermatt und Realp war vom Unterbruch betroffen, es verkehrten Bahnersatzbusse. Grund dafür war eine Fahrleitungsstörung.
Kurz bevor im Zentrumsmarkt Altdorf die Lichter wieder angehen, die Schiebetüren wieder funktionieren und die Notizzettel wieder verschwinden, redet ein Mann vor der Gemüseauslage mit David Arnold. «Das sind ja Zustände wie früher», sagt er und lacht. «Kann ich meine Einkäufe aufschreiben lassen?» David Arnold lacht ebenfalls. «Sicher – und wir packen die alte analoge Kasse aus.»