«Seelsorge lebt von Begegnungen und dem Miteinander»
Die Corona-Krise und der daraus folgende Ausnahmezustand beschäftigt viele – auch mental. Um den Gedanken eine Pause zu geben, hilft die Seelsorge.
Ein Interview mit Dekan Daniel Krieg.
Dieses Interview ist am 25. April 2020 im «Urner Wochenblatt» erschienen.
Schon seit einigen Wochen herrscht in der Schweiz Ausnahmezustand. Kleidergeschäfte, Blumenläden, Fitnesscenter oder Coiffeure mussten gemäss Anordnung des Bundesrats schliessen. Das Leben läuft anders als bisher, Verbote regieren. Da drehen die Gedanken schnell einmal wild umher, und das zerrt manchmal auch an den Nerven. Die Pandemie fordert heraus – auch psychisch. Viele Seelsorgeteams helfen in dieser schweren Zeit. So auch Daniel Krieg von der Kirchgemeinde Altdorf, sei es bei Beichten, Gesprächen, Beisetzungen oder Krankensalbungen.
Daniel Krieg, Sie sind Dekan, Pfarrer und Seelsorger der Kirchgemeinde Altdorf. Ich nehme an, die Corona-Krise betrifft auch Sie. Was tut die Seelsorge, um die Arbeit so gut wie möglich zu gewährleisten?
Die Seelsorge kann man nicht komplett über das Internet kompensieren, denn diese passiert zwischen Menschen, sprich von Angesicht zu Angesicht. Die Gottesdienste, die wir nun per Internet übertragen, sind für Menschen, die in dieser Zeit auch geistige Nahrung brauchen. Von der Liveübertragung profitieren am meisten ältere Menschen, die zuvor oft jeden Sonntag zur Kirche gegangen sind und nun zur Risikogruppe gehören. Doch wir machen noch mehr. Mit der Artikelserie, die wir im «Urner Wochenblatt» gestartet haben, und dem Pfarreiblatt wollen wir den Urnern etwas Spirituelles mit auf den Weg geben. Aber ich merke, dass mir persönlich die Begegnung mit den Menschen fehlt. Die Seelsorge lebt von diesen Begegnungen, vom Glauben und vom Miteinander – das kann man nicht kompensieren. Das muss man nun einfach aushalten.
Wie viele profitieren von den Livestreams?
Wir haben festgestellt, dass an einem Sonntag, wenn der Gottesdienst live übertragen wird, doppelt so viele Besucher auf unserer Homepage sind. Das sind 200 bis 300, das hat schon eine Breitenwirkung. Uns ist es wichtig, dass die Altersheime zuschalten können. Beispielsweise die Altersheime Rosenberg in Altdorf, Seerose in Flüelen und Rüttigarten in Schattdorf.
Sie als Seelsorger haben für Urnerinnen und Urner ein offenes Ohr, helfen und geben Rat bei deren Problemen. Vor der Corona-Zeit war es üblich, kurz zu einem Gespräch vorbeizukommen und die Probleme zu schildern. Wo finden diese Gespräche derzeit statt?
Die meisten Gespräche finden nun per Telefon oder per Mail statt. Für mich bedeutet das, dass ich wesentlich mehr Zeit als zuvor am Telefon verbringe, aber es funktioniert gut.
«Die Solidarität unter den Leuten, auch über mehrere Generationen hinaus, ist sehr gross.» — Daniel Krieg

Gibt es auch Ausnahmefälle?
Ja, die gibts. Zum Beispiel, wenn jemand beichten will, dann muss das von Angesicht zu Angesicht stattfinden, aber die Sicherheitsvorkehrungen sind natürlich einzuhalten. Einige kommen zum Beispiel immer zu den hohen Festen zum Beichten, so dieses Jahr auch eine Person zu Ostern. Ein Ausnahmefall ist auch die Rekrutenschule in Airolo. Einmal wöchentlich bin ich vor Ort, um mit den Armeeangehörigen zu sprechen. Dieses Angebot wird im Vergleich zu vorher rege genutzt, da der Wochenendurlaub seit einigen Wochen gestrichen wurde.
Welche Themen beschäftigen die Menschen in Corona-Zeiten?
Diejenigen, die sich bei mir melden, tun dies, weil ihnen der gelebte Glaube fehlt, die gemeinsamen Gottesdienste. Andere melden sich, weil sie Probleme daheim haben, weil sie permanent so nahe zusammen leben. Wieder andere sorgen sich um ihre Angehörigen in dieser Zeit, haben Angst, die Krankheit könnte auch sie treffen.
Ihre Arbeit bedeutet nicht nur Gespräche führen, Artikel schreiben und die Liveübertragung kontrollieren. Was gehört noch zu Ihren Aufgaben?
Krankensalbungen und Beisetzungen im Familienkreis gehören im Moment auch zu meinen Aufgabengebieten.
Krankensalbungen in Zeiten von Corona? In den Medien liest man oft, dass verstorbene Corona-Patienten Virenschleudern sind.
Wenn wir Priester zur Krankensalbung von Sterbenden gerufen werden, dann gehen wir – auch bei Corona-Infizierten. In erster Linie ist es uns aber sehr wichtig, die Sicherheitsvorkehrungen einzuhalten und keine älteren Priester, die zur Risikogruppe gehören, zur Salbung zu schicken. Wir wollen den Bedürfnissen der Angehörigen gerecht werden, denn die Salbung ist für die, die uns rufen, ein Zeichen der Nähe Gottes.
Welche Sicherheitsvorkehrungen gibt es bei einer Krankensalbung eines Corona-Infizierten?
Diese sind unterschiedlich. Aber in den meisten Fällen trage ich eine Schutzbrille, Maske, Handschuhe und einen Schutzmantel. Die Schuhe werden mit einem Schutz überzogen. Nach der Salbung desinfiziere ich alles gut – auch meine Gegenstände.
Ab Montag, 27. April, dürfen Beerdigungen wieder im «normalen» Familienkreis, nicht mehr im engsten, durchgeführt werden. Auf was müssen Sie trotzdem noch achten?
Die Beisetzungen werden immer noch draussen auf den Friedhöfen stattfinden und können etwas länger werden, zum Beispiel durch längere Ansprachen. Die Besucherzahlen werden sich ein wenig erhöhen, aber die Lockerungen bedeuten nicht, dass nun Bekannte und Nachbarn an die Beerdigung kommen können.
Welche positiven Aspekte ziehen Sie persönlich aus dieser Zeit?
Die Solidarität unter den Leuten, auch über mehrere Generationen hinweg, ist sehr gross. Ich hoffe, das hält nach dieser Krise weiter an. Die Luftwerte sind auch positiv. Es wird weniger geflogen, gefahren und gereist. Und die Entschleunigung, die uns sehr guttut. Schön wäre es, wenn man diese auch noch später im Alltag umsetzen kann, denn ich habe auch das Gefühl, dass die Menschen vor der Krise nur am Schuften waren und immer etwas machen mussten. Klar, gewisse Leute verlieren durch das Coronavirus auch die Arbeit, was äusserst tragisch ist. Diese Zeit gibt einem aber auch eine Chance.
Inwiefern?
Es ist die Chance herauszufinden, was einem wirklich wichtig ist – nämlich das, was man vermisst. Bei mir sind es vor allem Leute, die ich gerne wieder einmal sehen will, die Gemeinschaft. Aber ich denke auch, dass die Menschen durch die Pandemie im Allgemeinen alles mehr zu schätzen wissen, vor allem Begegnungen und Kontakte bewusster geniessen werden.
Und negative Aspekte?
Menschen sterben – das ist für die Angehörigen immer traurig und tragisch. Und natürlich die Folgewirkungen in der Wirtschaft, die sind nicht zu unterschätzen. Mit diesen werden wir noch lange zu kämpfen haben.