«Das Narrenblatt soll nicht nur lustig sein»

Es ist Fasnacht und somit Zeit für die Narrenblätter und ihre kritischen und doch lustigen Sprüche. Wie findet man Geschichten? Und wie weit darf man gehen?

Dieses Interview ist am 22. Februar 2020 im «Urner Wochenblatt» erschienen.

Grasgrün präsentiert sich das aktuelle Altdorfer Narrenblatt und schiesst nicht nur gegen die «Klima-Greta», sondern auch gegen die Regierung, die Polizei, Bolsonaro und Trump. 14 Aktive, zehn Ehrenaktive und 53 Ehrenmitglieder haben dieses Jahr wieder alles gegeben, um in der närrischen Zeit für Gesprächsstoff zu sorgen. Herausgekommen ist dabei die «Griäni Wällä». Seit 1906 gibt es das Narrenblatt der Nächstenliebe Altdorf. Das erste Thema war «Der Kriegsruf», wobei sie auch einen kleinen Umzug zum Thema Heilsarmee durchführte. Seit sechs Jahren ist auch Raphael Aeschbacher im Verein als Aktuar tätig und bekommt einiges in der Vorbereitungs- und Produktionszeit mit.

 

Trotz Narrenzeit denkt man sich bei einigen Sprüchen, dass diese vielleicht zu weit gehen. So zum Beispiel auch in der aktuellen Ausgabe des Narrenblattes. Bolsonaro fackelt nicht lange – im Gegensatz zum Amazonas. Raphael Aeschbacher, finden Sie das lustig?

Nein, ich finde es natürlich nicht lustig, dass es brennt. Den Spruch hingegen finde ich amüsant. Im Narrenblatt geht es in erster Linie nicht nur darum, dass alles lustig sein muss, es soll auch kritisch sein. Wir wollen aufzeigen, was in der Welt geschieht, was die Menschen bewegt und was in den Medien herumkursiert. Bolsonaro war immer wieder in den Medien, und das wollten wir aufnehmen und im Narrenblatt abhandeln. Ausserdem ist unser Karikaturist Tino Steinemann viel in Brasilien unterwegs und hat dadurch den Bezug zum Land. Er gibt mit seinen Illustrationen seit 40 Jahren ein Stück weit auch vor, was im Narrenblatt besprochen wird.

Apropos kritisch. Hatte die Nächstenliebe Altdorf schon mal einen Fall, der zu kritisch war?

(lacht) Ja klar, da ist es dem Narrenblatt gelungen, die Medien zu veräppeln. Da hat die Nächstenliebe Altdorf «en Äntä gläit» und Falschaussagen getätigt mithilfe eines Anwalts.

Eine Ente?

Ja, tatsächlich. Das war 2008. Es gab ein Gerücht, dass Russen an Urner Immobilien interessiert seien. Die Nächstenliebe Altdorf machte aus einer Mücke einen Elefanten und organisierte einen Anwalt, der ein Schreiben aufsetzte. In diesem Schreiben hiess es, dass die Russen effektiv interessiert wären, Altdorfer Immobilien zu kaufen. Dieser Brief geriet in Umlauf und wurde unter anderem beim «Türmli», «Reiser» und «Löwen» aufgelegt. Die «Neue Urner Zeitung» und verschiedene andere Medien berichteten darüber. Beim «Itrummälä» kam es dann zum «Outing»: Es war alles inszeniert.

Was wollte der Verein damit erzielen?

Ich war damals noch nicht im Verein, aber ich weiss, dass man definitiv nicht mit einem solchen Wirbel gerechnet hatte. Denn der Verein wollte damit eigentlich gar nichts bewirken, es war nur ein Scherz. Vor dem «Outing» wurden das «Türmli», der «Reiser» und der «Löwen» aufgeklärt. Der Scherz hatte für die Nächstenliebe Altdorf keine Konsequenzen, und es wurde alles humorvoll aufgenommen.

Gab es in den Jahren nach dem Vorfall mit den russischen Investoren andere kritische Kommentare oder Reaktionen zum Narrenblatt?

Ja, da meldete sich einmal der Besitzer einer Urner Brauerei. Dieser wollte mit den Verantwortlichen zusammensitzen und diskutieren, nahm es aber schlussendlich mit Humor. Und das ist auch der Normalfall, die meisten nehmen es mit Humor. Im Dorf läuft man sich schnell mal über den Weg, trifft sich in der Stammbeiz und spricht darüber bei einem Bier. Es ist allen klar, dass das Narrenblatt nicht ernst zu nehmen ist und nur dem Spass dient – schlussendlich ist Narrenzeit.

Nur weil Narrenzeit ist, ist auch alles erlaubt? Wie ist das mit der Rufschädigung einzelner Personen?

Wir nennen nie die richtigen Namen der Personen, die in den Sprüchen vorkommen. Trotzdem muss irgendwie klar sein, wer gemeint ist. Daher drehen wir meist die Anfangsbuchstaben der Namen um – beispielsweise könnte es Mimitri Doretti statt Dimitri Moretti heissen – oder setzen Zahlenkombinationen ein. Auch achten wir darauf, dass die Sprüche nicht sexistisch und rufschädigend sind. Bis heute sind mir keine Klagen oder Rechtsverfahren wegen Rufschädigung bekannt. Ich finde, öffentliche Personen müssen auch damit rechnen, dass sie im Narrenblatt landen. Ausserdem ist die Nächstenliebe Altdorf für Gespräche offen.

Keine Klagen und Rechtsverfahren also. Im Journalismus gilt, dass eine Geschichte oder ein Gerücht immer durch eine zuverlässige zweite Quelle bestätigt werden muss. Welche Regeln gelten beim Narrenblatt?

Da das Narrenblatt keine Zeitung ist und nicht den Anspruch auf Korrektheit hat, verzichten wir auf vertrauliche Quellen, denn sonst gäbe es kein Narrenblatt. Im Verein treffen wir uns als Kollegen und reden über viele Themen, da kommen meistens auch viele Gerüchte und Insider zum Vorschein. Wenn wir diese von drei bis vier Personen vernehmen, dann greifen wir diese auf und benutzten sie fürs Narrenblatt.

Wie kommt die Nächstenliebe Altdorf sonst noch zu den Themen und Geschichten?

Alle Mitglieder sammeln über das Jahr und schreiben ihre Ideen in die Themenliste. Wir schnappen auch Ideen im Ausgang oder am Stammtisch auf, und Jahresrückblicke wie das «MemUri» und allgemein die Medien sind wichtige Quellen, die uns zu Themen bringen.

In den Zeitungen steht zu jedem Artikel der Autor oder die Autorin. Warum werden die Sprüche beim Narrenblatt anonym publiziert?

Wir tun das, um die Autoren vor bösen Kommentaren, die persönlich werden könnten, zu schützen. Der Herausgeber sowie der Autor des Narrenblatts ist immer die Nächstenliebe Altdorf.

Ist im diesjährigen Narrenblatt etwas anders als in den vergangenen Jahren?

In den vergangenen Jahren war der rote Faden im Narrenblatt der Nächstenliebe Altdorf immer ersichtlich, sprich Internationales, Nationales und Regionales war klar nacheinander angeordnet. Das haben wir in der aktuellen Ausgabe geändert, es ist alles durchmischt. Ich bin gespannt auf das Feedback.

Was macht das Narrenblatt der Nächstenliebe Altdorf  im Gegensatz zu anderen im Kanton Uri einzigartig?

Ganz klar die Qualität der Sprüche und die Illustrationen von Tino Steinemann. Der 73-Jährige ist seit über 53 Jahren im Verein und hat schon über 40 Narrenblätter mitgestaltet. Er zeichnet fantastisch.

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