Beim Figstuel sitzts sich gut

Dieser Artikel ist am 29. Juli 2020  im «Urner Wochenblatt» erschienen.

Figstuel. Zum ersten Mal höre ich diesen aussergewöhnlichen Namen und hoffe gleichzeitig, mich verhört zu haben. Nach kurzer Recherche finde ich heraus, dass es sich um einen Ortsnamen im Kanton Uri handelt. Ich muss schmunzeln. Denn dank meinen Assoziationen habe ich Kopfkino.

Unsere Sommerserie «Unterwegs in Uri» behandelt dieses Jahr spezielle Ortsnamen. Ich muss nicht lange studieren und entscheide mich sofort für den Figstuel, da ich wirklich «gwundrig» bin und wissen will, was sich hinter diesem Namen verbirgt.

Die Erkenntnis nach meinem Spaziergang auf dem Haldi ob Schattdorf ist jedoch ernüchternd. Weshalb? Mein Ziel war der Figstuel, und wegen Assoziationen in meinem Kopf dachte ich mir, dass es dort wirklich einmal solch einen Stuhl gab, der für – na ja, Sie wissen schon – gedacht ist. Aber nichts da. Doch beginnen wir am Anfang.

«Das isch sit e und je halt dr Figgschtüäl». – Agnes Bissig.

Mit der Luftseilbahn Haldi fahre ich zur Bergstation. Dort gibt mir der Wegweiser an, die kleine Wanderung zum Figstuel dauere 35 Minuten. Also spaziere ich in sehr gemütlichem Tempo, mit Musik in den Ohren, los Richtung Figstuel. Der Weg geht leicht bergab, und prompt laufe ich mit meiner guten Laune und halbem Getanze an einer Grillstelle vorbei. Drei Holzbänke, eine Feuerstelle, ein leerer Metallabfallkübel, zwei Betstöcke und ein Baumstrunk mit einer Axt obendrauf, um die danebenliegenden Baumstämme zu spalten. Nichts Spezielles, denke ich mir und schaue mich weiter um.

«Figstuel, 1045 m». Genau das steht auf dem Wegweiser am Rande des Weges. Ich muss wieder schmunzeln und schaue mich schnell um, ob mich jemand sieht. Niemand da – zum Glück. Und wieder muss ich schmunzeln beim Gedanken, dass mich vorher gerade jemand hätte beobachten können. Dieser Wegweiser ist das Einzige, was an diesem Ort auffällt. Weiter gelange ich an einen Bauernhof zu einem Haus, das mit der Adresse «Figstuel 3» gesegnet ist. Oder eben nicht …

Vor dem Haus steht eine rote Bank der Gemeinde Schattdorf. Ich nehme darauf Platz. Schon schade, denke ich mir. Wenigstens etwas, das dem lustigen Ortsnamen gerecht wird, habe ich mir schon erhofft. Denn von irgendwo muss der aussergewöhnliche Name Figstuel doch herkommen. Meine Theorie war bis anhin: Irgendeinmal wurde doch auf einem Stuhl – na ja, Sie wissen schon … Wieso soll ein Ort sonst so heissen? Nachgeschaut im Urner Namenbuch, finde ich die Erklärung. Und siehe da, es hat wirklich gar nichts mit – na ja, Sie wissen schon – zu tun. Dafür aber mit einem Stuhl. Gemäss meiner Quelle wird der Figstuel als eine ausgeprägt stuhlartige Geländestelle bezeichnet. «Fig» soll aus dem Mittelhochdeutschen kommen und findet den Ursprung anscheinend bei «vil, viel, sehr» – im Sinne von ausgeprägt. Das heisst in diesem Fall, Figstuel hat eine ausgeprägte stuhlartige Terrasse.

Wenn ich die Landschaft genauer betrachte, hat das was. Da ist zuerst ein sehr steiler, mit Gras bewachsener Hang, dann eine gerade Fläche, und anschliessend geht der Hang wieder schräg hinunter, wie ein grosser Stuhl. Das sagt auch Agnes Bissig. Sie setzt sich neben mich auf das Bänkli und wir plaudern. Seit ungefähr 60 Jahren lebt sie beim Figstuel und meint: «Das isch sit e und je halt dr Figgschtüäl».

«Äs scheens Liftli» weht durch meine Haare, die Sonnenbrille auf der Nase und Musik in den Ohren. Elektronische Musik, meine liebste. Ein schöner Arbeitsplatz zum Schreiben mit atemberaubendem Blick aufs Unterland, Altdorf und den Urnersee. Ich geniesse den Augenblick und halte meine Gedanken, Eindrücke und Emotionen fest.

Meine Erkenntnis nach meiner Reise – beim Figstuel sitzts sich gut. Okay, zugegeben, der kam sehr flach. Genug Flachwitze. Der Ort Figstuel ist definitiv einen Besuch wert. Die Aussicht ist der Hammer und die Natur der Wahnsinn, um auf andere Gedanken zu kommen – nein, nicht diese Gedanken!

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